16.03.10

Bruder Tod

Ein vermessenes Gespräch. (1)

Tod, sein Antlitz sahen wir oft. Mit dem Schatten der
stählernen Vögel huschte auch dein unheimlicher Schatten
über die Dächer der großen Stadt. Er fraß sich durch bis
hinunter in die tiefsten Löcher der schützenden Erde. Dein
Siegesgeheul waren die stürzenden Häuser. Ein gräßliches
Grabmahl! Du fraßest an den Fronten das rote Blut der
Männer. Du saßest auf allen Stacheldrähten der eingezäunten
Lager. Du quältest in Folterkammern die wehrlosen Preis=
gegebenen. Selten nur war deine Hand mild und erlösend.

Tod, du allerwegen !
Tod, du immer da !
Tod, wer bist du ?

Es ist ja Vermessenheit, mit dir zu reden und dich zu fragen.
Doch halt inne, Tod ! Nur einwenig, bevor du auch mich
niedermähest wie das zahllose Gras der Wiese oder mich
fällst wie den Baum des Waldes.
Halt inne Tod und steh mirAntwort!

Einmal sprach einer Worte mit dir, so dass auch heute den
Menschen die Ohren noch gellen, wenn sie solch eine
Hiobskunde vernehmen. Du hast dem reichen Mann Job
aus dem Lande Hus alles genommen, Häuser und Herden,
Söhne und Töchter; hast seinen Leib mit Aussatz geschlagen.
Auf dem Dunghaufen war sein Platz. Doch er beugte sich
nicht vor dir. Er war kühn und vermessen, dir ins Antlitz
die Wahrheit zu sagen:

"Steht nicht in arger Fron der Mensch auf der Erde?
ist nicht sein Leben ein Taglöhnerlos?
Dem Sklaven gleich,
der nach Schatten lechzt,
dem Mietsknecht gleich,
der noch wartet des Lohnes?

So wurden zum Erbe mir Monde voll Weh;
Mein Teil waren Nächte und Mühsal.
Leg' ich zur Ruh' mich,
so denk' ich, wann darf ich wohl aufsteh'n?
Zieht dann die Nacht sich hin,
so wälz' ich mich ruhlos,
bis dämmert der Morgen.

Mein Leib ist gekleidet in Moder.
Einer lehmigen Kruste gleicht meine Haut . . .
Noch eine Weile: er löst sich auf. - -
Rascher als Weberschifflein
fliegen dahin meine Tage.
Ohn' Hoffen schwinden sie hin . . .

So will meinem Mund ich nicht wehren,
will sprechen in der Not meines Geistes,
will klagen in meiner Seele Bedrängnis !
Bin ich etwa das Meer oder ein Meerungeheuer,
dass du zum Wachsein mich zwingst? . . .
Ich schwinde dahin;
Ewig werd' ich nicht leben! -
Lass ab von mir!
meine Tage sind nur ein Hauch . . .

Was ist denn der Mensch,
dass du seiner so achtest
und auf ihn richtest dein Augenmerk?
Dass du ihn heimsuchst an jedem Morgen?
Dass du ihn prüfst jeden Augenblick?
Wie lange schon schaust du von mir nicht mehr weg?
Gönnst mir nicht Ruh',
nur den Speichel zu schlucken? . . .
Meine Tage sind hin . . .
Meine Pläne zerfetzt,
meines Herzens Wünsche . . .
Und machen sie die Nacht auch zum Tag,
ein mattes Licht in der Finsternis -
Die Unterwelt wird meine Wohnstatt doch!
Ins Dunkel breit ich mein Lager.
Zur Fäulnis sag ich: Mein Vater du!
Zum Moder: Meine Mutter, meine Schwesster!
Noch wo gibt's wirklich noch Hoffnung für mich?
Mein Glück, wer kann es noch sehen?
Zu des T o t e s r e i c h e s Toren steigen sie nieder . . .
Wenn vereint wir fahren zum Staube."

Tod ! Solltest du recht haben, dass wir Menschen nur sind deine
Taglöhner, deine Sklaven, auf die jeden Augenblick deine
schlagende Peitsche niedersaust? Bin ich wirklich ein Sklave-
Mensch, ein wehrlos Preisgegebener des Todes?

Wär es wirklich so Bestimmung für mich, dann würd' ich mich
fügen und die Stimme der Brust müßte schweigen. Doch nun
toben sie unablässig wider dich, grausiger Tod ! Es kann nicht
sein, dass ich dir verwandt bin, ein Sein zum Tode, mit dem Mal
des Nichts auf der Stirn! Wärst du ein Freund der Menschen,
dann wichen sie dir nicht aus. Doch sie können dir nimmer
entflieh'n. Überall findest du sie.

Von Jerusalem einer der weisesten Könige und Pediger zugleich,
der rechtete mit dir, Tod, und wollte dein Antlitz nimmermehr
sehn. er verbarg sich in Wissen und Weisheit. Doch in allen
Büchern traf ihn dein ernster, fragender Blick. So warf er die
Weisheit der Bücher denn weg und versucht es mit Liebe der
Frauen und Wein und Lust. Doch hinter Faschingsmasken
grinste dein hohler Mund.
Erschüttert rief er dann aus:
"Oh Eitelkeit der Eitelkeiten! Und alles ist Eitelkeit!"
Oh Tod, und überall Tod!
Hohl und leer und wesenlos sind alle Dinge der sterbenden Welt.


Quelle: Bruder Tod ein vermessenes Gespräch
von DDr. Cllaus Schedl

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